Michaela Melián
07.09.2013 –
11.10.2013
Jenny Nachtigal
Michaela Melián: Hausmusik
Michaela Melián ist nicht nur Künstlerin, sondern auch Musikerin - nicht dass es nicht ausreichen würde Künstlerin zu sein. Aber eine der Besonderheiten von Michaelas Praxis besteht eben darin, dass ihre Kunst oft mit akustischen Strukturen, eigenen Kompositionen und Produktionen arbeitet und das Umgekehrte gilt für ihre Musik.
Michaelas Praxis zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass sie immer sehr spezifisch kontextuell und historisch arbeitet; ihre Arbeiten stehen oft in Bezug zu den Orten an denen sie zu sehen sind, aber sie weisen auch über diese Orte hinaus, auf Geschichte, und auf Geschichte die vergessen wurde oder teilweise nie ins kollektive Bewusstsein gedrungen ist; und auf die alltägliche Gegenwart, der wir manchmal noch blinder gegenüber sind, vielleicht gerade weil man das, was man direkt vor Augen hat, oft übersieht – oder überhört.
In Hausmusik geht es natürlich nicht zuletzt um hören, um Musik, und um die ästhetischen, sozialen und politischen Strukturen in die Musik machen und hören eingebettet ist. Der historische Ausgangspunkt von Hausmusik ist John Cages „A House Full of Music“, eine radiogenerierte Komposition, die der Musiker 1982 als Auftragsarbeit für die Europäische Rundfunkunion hier in Bremen realisierte.
Für A House Full of Music lud Cage mehr als 800 Kinder und Jugendliche der regionalen Musikschule ins Überseemuseum ein; in 50 Räumen spielten 56 Ensembles simultan aus ihrem Standard Repertoire. Heute schwer vorstellbar, wurde das Simultan-Konzert in Echtzeit nach Maßgabe einer von Cage gemischten Partitur in den Senderaum der Eurovision übertragen. In zahlreichen Ländern in Europa und den USA konnten Zuhörer das rund 90 Minuten lange Konzert empfangen. In der Geschichte des Radios hatte das kollektive generierte Konzert, das mit dem Medium des Radios selbst arbeitete, keine vergleichbaren Vorläufer.
Als das Radio noch ein junges Medium war, appellierte Bertolt Brecht an sein kollektivbildendes Potential; es galt das Radio von einem Distributions- in einen Kommunikationsapparat öffentlichen Lebens, und Zuhörer zu Sendern zu machen, schrieb er in einem berühmten Text von 1930. Anstatt dessen kam dann ja leider wenige Jahre später der sogenannte „Volksempfänger“ und mit ihm die Aneignung der kollektivbildenden Kraft des Radios durch die Nazis. Nach dem Krieg, parallel zu den Anfängen der Europäischen Union, wurde die Europäische Rundfunkunion gegründet – die, man erinnere sich- den Auftrag für A House Full of Music erteilte. Kurze Zeit später kam dann die Eurovision, die 1956 den berüchtigten Eurovision Song Contest ins Leben rief. Der Rest ist Geschichte, eine Geschichte, in der Cages radiogenerierte Komposition, wie gesagt, eine absolute Anomalie geblieben ist.
Als eine Art Index dieses Ausnahmeereignisses hat Michaela Melian das alte Logo der Eurovision aus den 80ern an die Wand gezeichnet; und es ist kein Zufall, dass dieses Logo, dem, der EU auffallend ähnelt. Die Eurovision war immer schon mehr als nur eine neutrale Metapher oder Vision europäischer Einheit. Das wird besonders deutlich am Eurovision Song Contest, der sich explizit als ein unpolitisches Event geriert, aber bekanntermaßen ein Ventil nationaler und nationalistischer Befindlichkeiten ist, mal ganz zu schweigen von der Logik seiner Ein- und Ausschlussmechanismen. Als Vexierbild von EU und Eurovision wirft das Logo Fragen auf nach ihrer Geschichte und Gegenwart zwischen einer Rhetorik von Kollektivität und der Realität des Kapitals; Fragen, die nicht zuletzt seit der jüngsten Krise akuter denn je erscheinen.
Was das Radio angeht, erkannte Brecht selbst schon, dass seine Vision einer Kollektivität außerhalb der Warenlogik im Kapitalismus kaum durchführbar ist; sie ist geknüpft an die Forderung einer ‚anderen Ordnung’, wie er schrieb. Kunst wird diese ‚andere Ordnung’ nicht herbeiführen; sie kann aber, unter anderem, Möglichkeiten eröffnen, sich die kanonisierte Geschichte anders anzueignen und ihre Auslassungen und uneingelösten Potentiale zu vergegenwärtigen. Das Geschichtsbild das solch einer Praxis zu Grunde liegt ist ein unabgeschlossenes, nicht-lineares; ein Bild also, dem die Möglichkeit der Aktualisierung inne wohnt, um mit Walter Benjamin zu sprechen. Die Ausstellung Hausmusik könnte vielleicht als Beispiel solch einer Praxis angesehen werden, die die Geschichte von Cage, Radio und Eurovision aktualisiert.
Das Ausgangsmaterial der Sound Installation in Hausmusik ist die Eurovisionshymne, die im Sound-Chaos von A House Full of Music nur sporadisch ertönte. Michaela Melian hat 16 Tonspuren produziert, die unterschiedlichen Instrumenten bzw. Instrumentengruppen zugeordnet sind und das Eurovisionsmotiv abspielen. Bis auf die analog eingespielte Blockflöte, Gitarre und Bass sind alle Spuren am Computer produziert. Das ist auch insofern wichtig als dass Melian hier nicht mit den technischen Bedingungen des Radios arbeitet, sondern Cages Projekt neu perspektiviert für die Gegenwart, und zwar auch in Hinblick auf die Veränderung künstlerischer Produktionsmittel im Zeitalter des Digitalen.
Anders als bei Cage, stellt die Künstlerin auch das musikalische Material bereit, aus dem Besucherinnen ihre eigenen Kompositionen live arrangieren können. Sie werden somit nicht nur zu Konsumentinnen, sondern auch zu Produzentinnen von Hausmusik. Trotz der kollektiven Produktion von A House Full of Music, war es ja immer noch so, dass Cage, die Musikanten anwies zu spielen und es war auch Cage, der die Übertragung dirigierte, die Zuhörer passiv empfangen – oder auch nicht, es gab zahlreich Beschwerdeanrufe. Hausmusik dagegen dreht die Logik von A House Full of Music um.
Während das sonische Material von Hausmusik auf mediale Räume verweist, auf die bei Cage aber auch auf die der Gegenwart, die Räume die von Warteschleifenmusik und Klingeltönen gefüllt werden, geht es hier nicht zuletzt auch um die Räume kollektiver Praxis. Ursprünglich verstand man unter Hausmusik das gemeinschaftliche Musizieren im privaten Umfeld und eine Salonkultur, in der Laien und Halb-Profis zusammen spielten. Bezeichnenderweise wurde diese Praxis gerade mit der Entwicklung von Grammophon und Radio zunehmend von anderen Formen der Unterhaltungsmusik verdrängt – im möglicherweise schlimmsten Fall von Musikantenstadl. In ihrer Ausstellung aktualisiert Michaela Melians die mittlerweile in Vergessenheit geratenen kollektiven Ansätze von Hausmusik und Radio.
Neben dem Interesse an der Geschichte und Gegenwart kollektiver Praxis, könnte man Hausmusik aber auch in Hinblick auf eine andere Geschichte lesen. Ich meine hier das Verständnis von Hausmusik als eine Form bürgerlicher Musikerziehung höherer Töchter, in der es vorrangig um die Erhöhung der Chancen auf dem Heiratsmarkt ging. Die Auseinandersetzung mit den Widersprüchen geschlechtsspezifischer Zuschreibungen und identitärer Logiken ist fundamentaler Bestandteil von Meliáns Arbeit, auch da, wo man sie zunächst nicht unmittelbar sieht. Das möchte ich abschließend an „Frequency Hopping“ verdeutlichen.
„Frequency Hopping“ ist die sechsteilige Serie von Inkjet Prints eines Sound Studios, die mit dicht angeordneten, horizontalen Linien übernäht sind. Bei dem Studio handelt es sich um das Siemens Studio für elektronische Musik, das sich heute im Deutschen Museum in München befindet, in dem unter anderen auch John Cage gearbeitet hat. Das historische Studio, steht hier natürlich auch in Bezug zu dem heutigen, dem Ausstellungsraum als Studio. Über den Titel und die Form der Arbeit, öffnet sich aber ein weiteres Bezugsfeld in dem „Frequency Hopping“ verortet werden kann. Wie schon an der Sound-Installation deutlich wurde, ist die Frage des Mediums bei Melian keine lediglich formale, sondern eine spezifisch historische und politische. Die Technik des Nähens z.B., die Melian bei „Frequency Hopping“ verwendet, und mit der sie seit Jahren arbeitet, ist sowohl eine mechanische als auch gemeinhin ein feminin konnotierte.
Das ist interessant, wenn man bedenkt, dass der Titel „Frequency Hopping“ sich nicht nur auf die hier ausgestellten Serie beziehen lässt, sondern auf die Ausstellung „Life as a Woman“, die 2001 hier in Bremen zu sehen war. Der Fokus der damaligen Serie war nicht elektronische Musik, eine Musik des Codes sozusagen, sondern die Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr, die nicht nur eine Filmikone, sondern auch eine Ikone des Codes war. Heute vor allem durch ihre Rolle in dem Film Ekstase bekannt, war Lamarr auch Miterfinderin einer Frequenzsprungvorrichtung, die mittlerweile als „Frequency Hopping“ bekannt ist. Erst kurz vor ihrem Tod wurde Lamarr als Erfinderin und nicht nur als attraktive Schauspielerin gewürdigt. Ursprünglich für Torpedolenksysteme gegen Nazi Deutschland konzipiert, wird die Erfindung heute unter anderem für Mobiletelefone verwendet – und hier schließt sich vielleicht der Kreis zum Klingelton.
Frequency Hopping als Prinzip lässt sich aber auch als erweiterte Perspektive auf Michaela Melians Praxis verstehen, die eben nicht nur auf einer, sondern zwischen vielen Frequenzen zur gleiche Zeit kommuniziert, zwischen Genres, Medien, Vergangenheit und Gegenwart. Der Titel der Ausstellung „Hausmusik“ macht das deutlich: So lässt sich Hausmusik beziehen auf eine kollektive Praxis des Musizierens, auf Cages „A House Full of Music“, auf die geschlechtsspezifische Erziehung höherer Töchter aber auch auf das Indie Label namens Hausmusik, das die Platten von Michaela Melian und von F.S.K. vertrieben hat. Nicht zuletzt könnte man den Titel natürlich auch als house music lesen, von der es später mehr zu hören gibt...Und damit, möchte ich jetzt auch zum Schluss kommen und Euch und Sie der Praxis von Hausmusik überlassen.