Michael Schmid
Arbeiten

Text

Yuki Higashino
Still Images Michael Schmid

Erscheinen in: Quotationsmarks, 2018, Verlag für moderne Kunst, Wien

Die Botschaft ist diesem Bild buch stäblich eingeschrieben. Die horizontale Ebene wird von einem einzigen Wort beherrscht: real. Und das ist ja vielleicht das umstrittenste Wort überhaupt, wenn es um Fotografie geht. Denn was genau heißt „real“, „wirklich“, „echt“ sein bei einem fotografischen Bild eigentlich? Ist das Bild ebenso viel wert wie das reale Objekt, obwohl es die dreidimensionale Welt in eine zweidimensionale verwandelt? Oder ist das Bild eine wirklichkeitsgetreue Darstellung seines Gegenstandes? Wo doch jeder weiß, dass sich ein Foto ganz leicht durch die Art seiner Komposition, durch optische Effekte bzw. durch digitale Nachbearbeitung manipulieren lässt! Oder bedeutet es schlicht, dass es sich um einen „echten“ Fotoabzug mit Film und lichtempfindlichem Papier handelt – im Gegensatz zu einem Digitaldruck? Auch wenn man solche Zweifel einmal außer Acht lässt, besteht die Fotografie weiter unbeirrt darauf, real zu sein. Roland Barthes nannte den Moment, in dem eine Fotografie die Gefühle ihres Betrachters durchdringt, punctum. Dieses Bild hier tut das Gegenteil, eine solch einschneidende Wirkung liegt ihm fern. Sein Bestehen auf seiner angeblichen Bedeutung löst nichts als Skepsis aus. Es ist ein Bild, das sich schon über seine bloße Existenz unsicher ist. Die Fotografie, von der hier die Rede ist, heißt „real“, ist 2014 entstanden und stammt von Michael Schmid. Ein elegant gerahmter schwarzweißer Tintenstrahldruck mit bescheidenen Abmessungen        (38 cm x 31 cm), der größte Teil seiner Oberfläche ist weiß, was an dem engen horizontalen Beschnitt des Bildes liegt. Es wirkt bescheiden und schlicht, doch steht diese seine auf Präzision bedachte Präsentation im Widerspruch zu der Direktheit, mit der das Bild mit dem größten Schreckgespenst der Fotokunst kollidiert, deren heiklem Verhältnis zum eigenen Wahrheitsanspruch.

Eine solche Spannung zwischen der reduzierten und exakten Formensprache seiner Werke und den fundamentalen Fragen des Bildermachens,die sie stillschweigend aufwerfen, ist von zentraler Bedeutung für Schmids künstlerische Praxis. (1) Um sich produktiv mit seinen Werken auseinandersetzen zu können, ist es zunächst wichtig, seine Arbeitsweise im Zusammenhang der umfangreichen Geschichte des Dialogs zwischen Conceptual Art und Fotografie zu verorten. Vor allem setzt Schmid die bildnerische Strategie des Konzeptualismus fort, die sich durch ihr Stummbleiben und ihre hartnäckige Weigerung auszeichnet, „Kunstfotografie“ zu produzieren – was natürlich keineswegs bedeutet, dass sie Geschick und Können vermissen ließe. Jedes einzelne Bild ist von Schmid mit großer Sorgfalt inszeniert und komponiert. Um genau zu sein, sieht er die Fotografie als Mittel zum Zweck, das ihm maßvolles Denken ermöglicht. Schmids Fotografien widersetzen sich gewissen Fotografie-Stilen, deren Wirkung auf ihren sofort durchschaubaren Narrationen oder der Verführungskraft des Tableauhaften beruht. So lässt sich zum Beispiel feststellen, dass seine Bilder üblicherweise ein Ding zeigen, und dieses einzeln für sich stehende Motiv neigt zum Statischen und dominiert weite Teile seiner Bildwelt, was bedeutet, dass diese Bilder wenig mit einer malerischen Kompositionsweise oder mit einem narrativen Ansatz zu tun haben. Da es weder Vorder- noch Hintergründe gibt, erscheinen die Bilder recht flach. Doch ermöglicht ihnen gerade ihre Schlichtheit, sich mit dem Wesen des Fotografischen, mit dem Bildermachen ganz allgemein oder auch mit der Unterscheidung zwischen Objekt und Bild auseinanderzusetzen.

Nehmen wir etwa „Brille“, eine Arbeit aus dem Jahr 2014. Es handelt sich um das Schwarzweiß-Bild einer umgekehrt hingelegten Wegwerf-3D-Brille. Diese ist so beleuchtet, dass sie einen scharf umrissenen Schatten nach vorne wirft, und zwar so, dass dieser Schatten fast wie eine Spiegelung wirkt. So erzielt hier eine einfache Brille mit Pappgestell einen Eindruck von Monumentalität, sie bekommt etwas fast Architektonisches. Es ist ein dicht gepacktes Bild. Wichtiger als der verknappte Bildcharakter jedoch ist, was es eigentlich bedeutet, ein solches Motiv zum Gegenstand eines Fotos zu machen. Einerseits lässt eine 3D-Brille unweigerlich an den Seh-Akt denken, den sieimpliziert. Sie ist eine Metapher für unser Sehen und damit auch für unsere eigenen Augäpfel. Andererseits handelt es sich, im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Brille, um ein Hilfsmittel, mit dem eine Illusion räumlichen Sehens erzeugt werden soll. Die 3D-Brille gaukelt uns vor, dass da, wo nur etwas Zweidimensionales ist, etwas Körperhaft-Räumliches zu sehen wäre. Tatsächlich sind der Akt des Sehens und die Herstellung von Illusion in ihrer Gleichzeitigkeit ein zentrales Kennzeichen der Fotografie selbst. Die Komplexität seiner Selbstbezüglichkeit bleibt hinter der Zurückgenommenheit des Bildes verborgen. Sein besonderes Augenmerk für das Fotografische wird durch die Tatsache, dass es schwarzweiß gehalten ist, noch weiter betont. Indem das Bild den für die Funktion einer 3D-Brille entscheidenden Unterschied zwischen roter und blauer Zellophan-Linse aufhebt, betont es, dass es sich um einen fotografischen Druckund nicht um einen realen Gegenstand handelt. Was schließlich kommt dem Wesen des Fotografischen näher als die Schwarzweiß- Fotografie?

Die Arbeit „Ohne Titel“ aus dem Jahr 2011 ist ein gutes Beispiel, an dem sich unmissverständlich zeigt, wie Schmid bei seiner Erkundung der Unterschiede zwischen physischem Gegenstand und fotografischer Darstellung verfährt. Die Arbeit ist in drei Phasenent standen. Zunächst hat Schmid eine ganz gewöhnliche entfaltete Papierserviette fotografiert. Von diesem Bild wurde darauf ein Abzug mit den Abmessungen 67 cm x 67 cm gefertigt und von dem Düsseldorfer Fotolabor Grieger als Diasec kaschiert. Schließlich wurden an diesem Abzug vier Metallbeine angebracht und er wurde wie eine Tischplatte verwendet, wodurch eine visuelle Beziehung zwischen der glänzenden Oberfläche der Tischbeine und der Acrylkaschierung wie auch zwischen den schwarzen Gummipolstern an den Beinen und dem schwarzen Innenteil der Diasec-Kaschierung entstand. Zuerst vermittelt diese Arbeit den Eindruck, als handle es sich um einen Kommentar zu der noch immer fortdauernden Trennung zwischen den Disziplinen Design und Kunst, verwischt sie doch die Unterscheidung zwischen Skulptur und Möbelstück. Folgt man dieser Deutung, so erinnert der klare Minimalismus dieser Arbeit an die modernistische Tradition solcher Grenzverwischungen, vom Bauhaus bis hin zu Donald Judd. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch seine wahre Komplexität als kluge philosophische Untersuchung des Wesens der Fotografie und ihrer Verbindung zum physischen Objekt. Eine Serviette, die üblicherweise auf dem Tisch platziert wird, wird zum Bild – und schließlich selbst zum Tisch. Das heißt, die Darstellung eines Objekts wurde in eine Struktur (Tisch) verwandelt, zu deren Funktion es normalerweise gehört, dieses Objekt zu tragen. In gewisser Weise kann man diese Arbeit als Ergänzung der durch „real“ aufgeworfenen Fragen sehen, führt sie doch das Ausmaß jener Transformationen und Manipulationen eines „realen Objekts“ vor Augen, zu dem Fotografie fähig ist. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt an Schmids Produktion, der das Konzeptuelle seiner Arbeitsweise offenbart, ist die penible Sorgfalt, mit der er sich der Präsentation seiner Werke widmet. Seine Installationen sind prägnant und makellos, man könnte sie gar klassisch nennen. Die meisten Bilder – wenn auch nicht alle – sind in relativ kleinen Formaten gedruckt und weisen weiße Umrandungen auf. Sie sind allesamt ohne Passepartout gerahmt. Mitunter werden die Bilder von einem Video des Ausstellungsraums begleitet, in dem sie gezeigt werden, oder, wie im Fall von „Hören“ (2016), von seiner Klangkulisse. Wichtig ist zudem, dass die Rahmen der Fotografien entweder vom Künstler selbst oder auf Grundlage seines Entwurfs speziell für ihn angefertigt sind. Das ist nicht nur deshalb wichtig,weil es das Ausmaß der Kontrolle verdeutlicht, auf das Schmid bei der Präsentation seiner Werke besteht, sondern auch wegen der Trennung, welche die Rahmen bezüglich der Bilder erzeugen. Seine Drucke sind stets digitale Archiv-Pigmentdrucke, was bedeutet, dass sie unbegrenzt reproduzierbar sind. Dem gegenüber ist jedereinzelne Rahmen eine Maßanfertigung. So werden in der gängigen Hierarchie von Artefakten die Positionen von Kunstwerk und Rahmen vertauscht, denn hinsichtlich seiner Seltenheit und Exklusivität ist ein maßgefertigter Rahmen „wertvoller“ als ein Digitaldruck, da es sich bei ihm um ein Originalobjekt handelt. Mithilfe dieser subtilen Geste der Verkehrung, die nur der erkennen wird, der über einiges Wissen im Bereich der Fotografie verfügt, wirft Schmid noch einmal die Frage nach dem Verhältnis von künstlerischem und monetärem Wert (nach der Seltenheit also) auf, welche die Fotografie aufgrund der Reproduzierbarkeit jedes einzelnen Bildes seit ihrer Erfindung begleitet. Zudem spricht die Geste natürlich auch für einen gewissen trockenen Humor.

Die Frage nach Raum und Präsentationsweise ist zugleich auch die Frage nach dem Kontext. Zwar wird eine kritische Kontextanalyse für gewöhnlich gedanklich mit einer Analyse des sozialen Kontexts verbunden, wie es der fortdauernden Wirkung der künstlerischen Institutionskritik entspricht, doch soll auch daran erinnert sein, dass eine Reflexion der physischen Eigenschaften eines Ausstellungsraums ebenfalls eine kritische Dimension haben kann und sollte. In seinem einflussreichen Aufsatz „Kritischer Regionalismus – Thesen zu einer Architektur des Widerstands“ schrieb der Architekturhistoriker Kenneth Frampton im Jahr 1983: Bis vor kurzem bevorzugte man für die Ausstellungsräume moderner Kunstmuseen ausschließlich künstliche Beleuchtung. Man hat dabei vielleicht nicht genügend beachtet, dass dieses Verfahren dazu neigt, das Kunstwerk zur Ware zu reduzieren. Eine solche künstliche Umgebung trägt unweigerlich dazu bei, das Kunstwerk ortlos erscheinen zu lassen, weil dem örtlichen Lichtnie erlaubt wird, auf der Oberfläche des Kunstwerks zu spielen. Hier sehen wir, wie der Verlust der Aura, den Walter Benjamin den Prozessen mechanischer Reproduktion zuschreibt, auch durch eine relativ statische Anwendung universaler Technologie entsteht. Eine Alternative zu dieser „ortlosen“ Praxis wäre es, dafürzu sorgen, dass alle Kunstgalerien mithilfe sorgfältig konstruierter Monitore Oberlicht bekämen, sodass sich das natürliche Licht in den Ausstellungsräumen je nach Tages- oder Jahreszeit oder Luftfeuchtigkeit ändern würde. Solche Bedingungen könnten eine ortsbewusste Poetik ermöglichen – eine Art Filterung, die durch Interaktion zwischen Kultur und Natur, zwischen Kunst und Licht hergestellt wird. (2) Obwohl sich natürlich die künstlerischen Anliegen, die für Schmid wichtig sind, von denen unterscheiden, die Architekten haben, teilt er mit diesen die Erkenntnis, wie radikal räumliche Details, die sich dem nicht geschulten Blick vielleicht sogar entziehen, die Bedeutungsebene eines Innenraums (oder, für Künstler,einer Ausstellung) verändern können und wie die konzentrierte Beschäftigung mit solchen Details einen kritischen Aspekt im Sinne Framptons darstellen kann. Angesichts seiner akribischen Aufmerksamkeit für die Anordnung im Raum, für Rahmung und Hängung, lässt sich Schmids Arbeitsweise in dieser geistigen Tradition einer kritischen Raumproduktion verorten.

Man tut gut daran, die Wichtigkeit einer solchen kompromisslos selbstreferentiellen fotografischen Praxis für die heutige Welt zu erkennen. Es ist die strenge Komposition, die bescheidene Größe,ihre Präzision und der von ihnen ausgehende zutiefst geistorientierte Diskurs, der Schmids Bilder zu stillen Bildern macht. Und in der heutigen vom Image besessenen, von Bildern getriebenen Gesellschaft, die das groteskeste Spektakel, das ein Guy Debord hätte ersinnen können, weit hinter sich lässt, ist die Produktion stiller Bilder wie dieser grundsätzlich schon ein Akt der Kritik und der Auflehnung, auch wenn dies bei deren Herstellung nicht unbedingt ausdrücklich die Absicht des Künstlers war. Die lückenlose Kontrolle, die Schmid über seine Werke und deren Präsentation ausübt, deutet auf die Notwendigkeit einer solchen Kontrolle, um als Künstler in einer Gesellschaft arbeiten zu können, die disziplinärer Autonomie und Intelligenz gegenüber feindselig eingestellt ist. Die Stille dieser Bilder lässt das Fehlen von Stille in der Welt schärfer ins Bewusstsein treten.

¹ Eine weitere Deutung, die sich aus dem deutschsprachigen Entstehungskontext herleitet, bietet sich hier an. Das im Bild gegebene Wort „real,-“ – mit dem signifikanten Komma und Strich am Ende – ist für in Deutschland Lebende gleich als das Logo einer Discount- Einzelhandelskette erkennbar, die wiederum mit einem gewissen sozialen und wirtschaftlichen Status assoziiert wird. Durch diesen Aspekt gesellschaftlicher Wirklichkeit erhält das Bild ein Mehr an Komplexität.

² Kenneth Frampton: „Kritischer Regionalismus – Thesen zu einer Architektur des Widerstands“ (zuerst 1983), in: Andreas Huyssen, Klaus R. Scherpe (Hg.), Postmoderne – Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek bei Hamburg 1986, übers. v. Ingrid Pierson, S. 151–171, hier: S. 167.

Aus dem Englischen übersetzt von Clemens Krümmel

Links

Radek Krolczyk im Gespräch mit Michael Schmid in der Kreiszeitung, Syke, 2016

Talking Heads - Weserburg Podcast. Ingo Clauss im Gespräch mit Michael Schmid, 2022

CV

Ausstellungen

2022
text, Galerie K', Bremen

2019
A, Galerie K‘, Bremen
„Quotation Marks“, Motto Books, Berlin

2018
Quotation Marks, Salon für Buchkunst, 21er Haus, Wien, AT

2017
Cube, Kjubh, Cologne

2016
Moment, Kunstverein Springhornhof, Neuenkirchen

2015
show, Galerie Barbara Oberem, Bremen

2013
Fünf Dinge, Galerie Barbara Oberem, Bremen

Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)

2023
Stadt, Wert, Fluß, Artweek Berlin, Haus1
people we work with, Ksoik am Schäfersee, Berlin
Photoszene-Festival, Photography in Progress: Fragile Infrastrukturen, Kunsträume der Michael Horbach Stiftung, Köln

2021
So wie wir sind 3.0, Weserburg - Museum für modene Kunst, Bremen
Kartierung, im Stadtraum von Bremen
The Crack Up, take care, Los Angeles

2018
2 years 2 months 2 days, FAQ, Bremen
XING LA, rampe, Berlin
Merckpreis, Darmstädter Tage der Fotografie, Museum Mathildenhöhe, Darmstadt

2017
Fokus Junge Kunst, Jürgen Ponto Stiftung, Kunsthalle Bremen
Trunk, Kunstverein Lüneburg

2016
Photography is Magic, Aperture Foundation, New York
Karl Schmidt-Rottluff Stipendium, Kühlhaus, Berlin
Bremer Förderpreis 2015, Städtische Galerie, Bremen

2015
Cloudbusting, KN, Berlin

2014
Kunst und Küche , Kunstmuseum Villa Zanders, Bergisch Gladbach
The Night Bell With Lightning, KN, Berlin
Winter , Galerie Barbara Oberem, Bremen
Of The Universe, MeisterschülerInnen 2014, Weserburg - Museum für modene Kunst, Bremen

2013
Atlas 2013, Bundeskunsthalle, Bonn

Bücher

Quotation Marks | 2018 | Verlag für Moderne Kunst, Wien
SHOW | 2015 | Galerie Barbara Oberem, Bremen

Auszeichnungen

2018
Merckpreis der Darmstädter tage der Fotogrfie 2018

2017
Fokus junge Kunst der Ponto-Stiftung
DAAD-Stipendium Los Angeles                                                                                                                                                                                                                                      

2016
Projektförderung USA, Senator für Kultur, Bremen
Shortlist Karl Schmidt-Rottluff Stipendium, Berlin
Künstlerförderung, Bundespräsidialamt Berlin